Klaus Merkel

Texte

Markus Brüderlin: Das Wiederschreiben von Malerei oder der gemalte Diskurs

St. Gallen, Kunsthalle, 1994

Klaus Merkel: Textualisierung der Bilder als Kontextualisierung der Malerei1

Klaus Merkels malerische Konzeption, die auf den ersten Blick sich auf die reine Sinnlichkeit einer kulinarischen Malerei zu konzentrieren scheint, verarbeitet den kontextuellen Aspekt abstrakter Malerei. Als Mittel dafür entwickelte der Künstler seit Beginn der achtziger Jahre eine eigenwillige Form der Ensemblehängung, bei der die Einzelbilder zugleich als autonome Tafeln wie auch als Teil einer im Dekorganzen aufgehenden, übergreifenden Syntax zu lesen sind. Die Höhepunkte dieser Methode fanden 1988 im Düsseldorfer Kunstverein und in der Ausstellung „In Situ“ in der Wiener Sezession statt. In Wien befestigte Merkel zwei analoge Bildtafeln diagonal übereinander auf einer monumentalen, quadratischen und frei in den Raum gestellten Wand. Er benutzte die Architektur des Stammhauses des Wiener Jugendstils als gleichsam ornamentalen Grund, in den die Tafelbilder sich nunmehr als Versatzstücke einzufügen hatten und dadurch ein Ganzes definierten. Der Künstler weiß, dass nicht mehr das Einzelbild das Ereignis der Malerei ausmachen kann, sondern nur der Zusammenhang der Bilder, der sich über die Zeit zu einer Biographie ausschreibt und als Diskurs der eigenen Legitimation von Malerei lesbar wird. Das Kontextuelle der Ensemblehängung beschränkt sich also nicht nur auf den im Moment wahrnehmbaren formalen Zusammenhang, sondern greift auf die institutionelle Bestimmung von Kunst und auf deren gesellschaftliche Funktion über.

Den entscheidenden Schritt dazu vollzog Merkel mit seiner Ausstellung von sogenannten Katalogbildern, in der er vor der dicht gehängten Serie von neuesten Bildern, Tafeln aufstellte, auf denen frühere Bilder im miniaturisierten Katalogformat „wiederschreibend“ nachgemalt wurden.2 Der Künstler, der bisher in der Ensemblehängung Bild und Ausstellung stets zusammen sah, erweiterte diese funktionale Einheit um die kontextuelle Einrichtung des Katalogs, der im Ausstellungsboom der achtziger Jahre tatsächlich fast wichtiger geworden war als die Ausstellung selbst. Der Katalog ist der letzte Container der Bilder in unserer dokumentationswütigen und gleichzeitig entsorgungsbedürftigen Zeit der Hyperproduktion. Merkel bezieht sich bei diesen Arbeiten auf eine Sentenz von Barnett Newman, dessen Kunst auf dem unmittelbaren Dialog mit der realen gegenwärtigen Farbfeldmalerei basiert und für den jede Ausstellung ein Kampf gegen den Katalog bedeutete. Vor dieser Referenz könnte man Merkels reproduzierende Verkleinerungsaktion ironisch lesen, indem er damit verrät, dass sein bisheriges, schwergewichtiges, pastoses Werk eigentlich nur für den Katalog produziert worden sei. Doch seine Bilder verschwinden nicht im gedruckten Punktraster, werden nicht im Katalog entsorgt. Im Gegenteil, sie internalisieren den Katalog gleichsam als bilanzierende Inventur, die die Folge der Bilder überblickt, um von dieser neugewonnenen Basis aus „überhaupt noch Bilder behaupten zu können“: „In dem Moment, wo der Katalog als Malerei bearbeitet ist, sind die Bilder wieder frei, weil sie ihre nostalgische Abbildung nicht mehr brauchen.“3

Doch die solchermaßen befreiten Bilder entstehen auf dieser Ebene nicht mehr aus der Imaginationskraft des ingeniösen Künstlers und der Physis der realen Gegenwärtigkeit, sondern der syntaktischen und vertauschbaren Folge des Textes: „Sie müssen von ihrem hohen Standpunkt auf den niedrigen des Textes gezogen werden. Mit dieser Leistung verlieren sie alles, was sie bisher hatten und werden bis ins Mark verändert. Ab jetzt sind sie Schauspieler, Spielkarten, Währung oder Text. Ich gehe nicht mehr von Bildern aus, die einen echten Dialog führen können, sondern von Arbeiten, die nur noch sprachfähig sind, wenn sie einen eigenen Diskurs bilden können. Das geht nur, indem eine eigene Übersicht formuliert wird. Diese Rahmenbedingungen können auf der letzten Stufe das Bild wieder als Generation hervorbringen.“4

Die Verkleinerung bildet bei Klaus Merkel also neben der „Konzeptionalisierung des Dekors“ eine zweite gleichsam komplementäre Methode, die eine Art Textualisierung bewirkt, deren Syntax reflektierend über den Kontext der Bilder referiert. Doch diese Reflexion verstrickt sich nicht in die reine Textualisierung, bleibt nicht in der Sackgasse des Katalogs stecken, sondern bewirkt ein Wiederauferstehen der Malerei aus dem Diskurs, der die Malerei schon überflügelt zu haben scheint. Darin haben wir die produktiven Momente der Methode des Omamentalisierens und des Wiederschreibens zu erkennen, nicht nur der eigenen, sondern auch der kollektiven Geschichte der Malerei.

  1. Erstabdruck in Fön N° 8, anlässlich der Malereiausstellung: Axel Kasseböhmer, Klaus Merkel, Thomas Werner, Hrsg. Kunsthalle St. Gallen, St. Gallen 1994 ↩︎
  2. Galerie Frieder Keim, Köln, Juni 1993. Vgl. auch Katalog: ‚.Katalogbilder“, Hrsg. Moral-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft, Freiburg, 1993 ↩︎
  3. Klaus Merke! im Gespräch mit Christian Matthiessen, Text für die erste Theorie-Iinstallation der Jackson Pollock Bar in Zusammenarbeit mit dem Atelier Klaus Merkel, Freiburg 1993 ↩︎
  4. Merkel ebd. ↩︎