Das Ende der New York School ist eine der wichtigsten Phasen in der amerikanischen Malerei der 1960er Jahre, die weitreichende Wirkung hatte. Mit wortgewaltigen Begleitveranstaltungen (z.B. The Philadelphia Panel, 1960) arbeiten vor Allen Ad Reinhardt und Philip Guston darauf hin, diese Episode zu beenden. Es sind diese beiden Maler, die den Ausstieg aus dem Singsang des Abstrakten Expressionismus vollziehen und der Malerei einen Möglichkeitsraum öffnen, der sich bis heute aktivieren und ausschöpfen lässt:
Philip Guston verlässt seine gestrickten Flächeninterventionen mit denen er berühmt geworden war in Richtung „neue Figürlichkeit“. Er baut ein Set an Inventarmotiven aus, die er fortan wie Schauspieler im Theater seiner Bildbühne bewegt, etwa: Hand, Pinsel, Staffelei, Leinwand-und-Keilrahmen, Nägel, Schuhe, Bücher, Sonne, Glühbirne, Kopf usw. und bricht eine Lanze für das „Unsaubere“ in der Malerei, ein Diktum, das direkt die Spieler des „Bad Painting“ der 1980er Jahre erreicht.
Anders Ad Reinhardt. Er beschneidet seine formalen Abstraktionen radikal, indem er fast alle Farben und kompositorischen Elemente löscht und zu seinem letzten großen Ritt ansetzt, den sogenannten „Ultimate Paintings“, die er auf bestimmte Werke von Malewitsch oder auf Bildprogramme Mondrians aufbaut. Im Dreiklang aus seinen Collagen, die Kommentare zum Kunstbetrieb sind (1940er Jahre), den performativen Dia-Serien über die formalen Zusammenhänge der Welt der Kunst, Religionen, Natur und Architektur (Ende der 1950er Jahre) und diesen „Ultimate Paintings“(seit 1960), öffnet er den Weg zur minimalistischen und konzeptuellen Kunst. (Joseph Kosuth war, wie dieser mir versicherte, als junger Künstler ständiger Gast in Reinhardts Atelier).
War das Tafelbild bisher der Ort einzigartiger Bildsetzungen und malerischer Selbstfindung, wird es von beiden, Guston und Reinhardt, durch einen Entwertungsprozess geschleust, wenn auch ungleichzeitig und auf sehr unterschiedliche Weise. Indem sie die Rolle des Bildes umfunktionieren und es zum Baukasten machen wird es eine Fläche, die mit Informationen ausgestattet ist. Die Leinwand ist jetzt Operationsfeld, die den Status Quo zeigt und dadurch weit mehr wird als bloß ästhetisches Ereignis, das mit Pinsel und Farbe geschaffen wurde.
Während Guston gegen Ende der 1960er Jahre seine bildinhärenten Motivgruppen, seine „Schauspieler“, immer wieder neu aufführt, das Tafelbild wie ein Regisseur den Schauplatz behandelt, verengt Reinhardt im Alter von 47 Jahren sein Feld zu „letzten Bildern“ mit nur noch einer „Figur“.
Er malt ausschließlich an der Serie der „Ultimate Paintings“. Er betitelt jedes dieser schwarzen, 5x5 feet großen Gemälde mit „Abstract Painting“. In extremer Weise reduziert er sein bildnerisches Vokabular auf Schwarztöne und reinigt es formal.
Er malt konstant Schichten dieser farbigen Schwarzlasuren, deren gestraffte, hohe Pigmentdichte es ihm erlaubt, in höchst ausdifferenzierte Nuancen aufzusteigen. Erst im langsamen Farbabgleich der Dunkeltemperatur erscheint dem Betrachter das Kreuzmotiv. So erreicht er eine Oberflächenaufladung, die gleichermaßen konfrontiert und animiert.
Das Kreuz als Figur ist von entscheidender Bedeutung für seine Komposition und steht bei ihm für das Verhältnis: Figur und Grund. „Kreuz als Figur“ weist immer auf die Basisfrage aller Abstrakten Malerei hin und will von Reinhardt ständig gezeigt und austariert werden. Die zwei Balken der Kreuzfigur malt er meist in breiten Pinselbahnen, deren Ränder werden mittels Pinselstrich genau definiert, die Kanten wie bei einer Schönschrift freihändig gezogen.
All diese malerischen Schritte in seinen „leeren, schwarzen Bildern“ überschreiten jedweden monochromen Ansatz.
Oder vielleicht spuken ihm noch die Anti-Kunst-Aufführungen Robert Rauschenbergs durch den Kopf, der schon in den frühen 1950er-Jahren mit leeren, weißgrundierten Leinwandensembles hantiert hatte und äußerst effekvoll eine Zeichnung von de Kooning ausradiert hatte? Denn da ging es um „echte“ Leere.
Die Konzentration auf diese „Eine Figur auf Grund“ steht unter einem besonderen Licht. Wie gesagt: Seit 1960 bis zu seinem Tod im August 1967 entstehen ausschließlich diese quadratischen schwarzen Bilder mit Kreuzmitte und fortan gibt es nur dieses eine Format und Motiv.
Wichtig: auch in der Serie argumentiert Reinhardt immer als Maler. In diese erste Brechung, seine Entscheidung zur „Entwertung des Einzelbildes“ in die Serie hinein, schiebt sich eine zweite Brechung, die für den Stand der Malerei in meinen Augen noch wesentlich radikaler ist.
Nachdem seine äußerst empfindlichen Bilder mit ihrer konfrontierenden Wirkung nicht selten durch Berührungen o.ä. beschädigt ins New Yorker Atelier zurückkommen (belegt sind je 6 Bilder aus New York und Paris im Jahr 1963 und 10 Bilder aus London von 1964), beginnt Reinhardt diese zurückgekehrten Bilder zu übermalen.
„The painting leaves the studio as a purist, abstract, non-objective object of art, returns as a record of everyday (surrealist, expressionist) experience („chance“ spots, defacements, hand-markings, accident-„happenings“, scratches), and is repainted, restored into a new painting painted in the same old way (negating the negation of art), again and again, over and over again, until it is just „right“ again. (...)“ Ad Reinhardt, in catalog: „Americans 1963“, Museum of Modern Art , NY, 1963
Für mich ist dieser Übermalungs-Akt keine Restaurierung. Ein Maler seines Formats muss neben der Betriebskritik ebenso erkannt haben, dass die Geste dieser speziellen Übermalung des Bildes mit sich selbst, bzw. die Übermalung des Motivs mit sich selbst, ein zusätzlicher informativer Wert war, der zwar letztendlich im erneut fertig gestellten Gemälde unsichtbar bleiben musste, aber dennoch fundamental ins Bild eingebrannt war. Ich nenne diese Übermalung zweite Brechung.
Ist Ad Reinhardt ein Maler, der seine Bilder maskiert? Der verlustlos und noch mit Zugewinn die Bilder mit sich selbst übermalt?
Eine übergezogene Bildhaut, die der darunterliegenden täuschend ähnlich sieht, nimmt eine Statusverschiebung des Ikonischen in Kauf. Reinhardt schärft seiner Leinwand jene Information ein, die beständig am Originalitätsbegriff und am Bildwert herumsäbelt und etabliert eine Operation, deren Folge so spannend wie unerledigt ist.
Ad Reinhardt hat mit der zweiten Brechung jedem Gemälde einen modus operandi zu Grunde gelegt, der das Bild als Text, Kommentar und Argument im Diskurs funktionieren lässt. In diesem Sinne können alle im Bild verankerten Methoden einen Werkkörper argumentativ machen.
Wenn etwa das „Original“ des Bildes in andere Bilder mutiert, ist der Originalitätswert angegriffen. Es bleiben „abgewertete“ Bilder, die eine eigene Währung charakterisieren. Bilder sind so vor allem in der Werkverwendung relevant, nicht im Geschäft.
Der Status des Bildes muss operativ, d.h. mit Mitteln der Malerei, ständig befragt werden, wenn Bild, Malerei und Kontext neu verhandelt sein wollen. Ein brachliegendes Feld das sich lohnt zu beackern.
Klaus Merkel ist Maler. In der Praxis seiner Bildsprache sind diese hier vorgetragenen Thesen zentraler Bestandteil.