Klaus Merkel

Texte

Oriane Durand: On the Mirror Stage

Paris, Agence de Voyages, 2025

Klaus Merkel in Begleitung von Monika Baer, Mimosa Echard und David Medalla

Die Ausstellung „On the Mirror Stage“ stellt das Werk von Klaus Merkel (*1953 in Heidelberg) in den Mittelpunkt eines Dialogs mit drei Künstler*innen unterschiedlicher Herkunft und Generationen: Monika Baer (*1964 in Freiburg), Mimosa Echard (*1986 in Alès) und David Medalla (*1942 in Manila – + 2020). Während zwischen Baer und Merkel eine gewisse Affinität besteht, die in der Kontinuität einer deutschen Maltradition begründet ist, eröffnen die Verbindungen zu Medalla und Echard unerwartete Interpretationsmöglichkeiten, die einen neuen Blick auf Merkels Werk ermöglichen. 

Seit den 1980er Jahren entwickelt Merkel eine systematische Malpraxis, bei der jedes Werk in Beziehung zu seinem Gesamtwerk steht. Anfang der 1990er Jahre begann er, alle seine zwischen 1988 und 1995 entstandenen Gemälde im Maßstab 1:10 auf sieben großen Tafeln (den „Katalogbildern“) zu reproduzieren. Dieses Werk wird zu einem aktiven Archiv, einem Bildreservoir, aus dem er für seine späteren Kompositionen schöpft, ein Mittel, um, wie er selbst sagt, „Bilder mit Bildern zu malen”.

Diese Miniaturgemälde, die mit abstrakten Spielkarten vergleichbar sind, tauchen von Bild zu Bild in vielfältigen Formen wieder auf: isoliert, nebeneinander, übereinander oder frei auf der Leinwand verstreut. Gemalt auf einfarbigen oder farblich abgestuften Hintergründen, durchzogen von Gitternetzen oder Pinselstrichen, die wie Lichtreflexe wirken, entfalten sie eine selbstreferenzielle Sprache von strenger Systematik, die jedoch stets offen bleibt. Durch die Wiederholung einfacher Formen wie Dreiecke, Rechtecke oder Kreise und die Verwendung unterschiedlicher Texturen eignet sich seine Arbeit für den Dialog mit anderen Bildsprachen, die ähnliche elementare Strukturen aufweisen.

Diese Aufnahmefähigkeit, diese Durchlässigkeit für äußere Formen, gibt der Ausstellung ihren Titel. Inspiriert von der „Spiegelphase”, die Jacques Lacan in den 1940er Jahren entwickelte, betrachtet „On the Mirror Stage“ Merkels Malerei als einen Prozess der Identitätsbildung. Nach Ansicht des Psychoanalytikers entdeckt das Kind sein Ich in dem Moment, in dem es sich in einem äußeren Bild wiedererkennt, sei es in seinem eigenen Spiegelbild oder in dem eines Elternteils. Das „Ich“ entsteht demnach aus einem Außen heraus. Übertragen auf Merkels Werk beschreibt diese Idee ein selbstreflexives System, in dem jedes Werk im Dialog mit anderen Formen entsteht, die aus seinem eigenen Korpus oder einer Umgebung stammen. Hier im Zentrum der Bühne (eine weitere Bedeutung des englischen Wortes „stage“) platziert, wird es zu einem Resonanzraum, in dem das Spiel mit Reflexionen und Entsprechungen neue Sichtweisen auf sein Werk eröffnet.

Diese Logik findet ein direktes Echo in den Gemälden von Monika Baer. Auch wenn sich ihre Arbeit offener zwischen Figuration und Abstraktion bewegt, basiert sie wie die von Merkel auf einer Wiederholung von Formen. In ihren als Ensembles konzipierten Serien erhalten die Objekte (Streichholzschachteln, Flaschen oder Banknoten ...), die vor einem einfarbigen oder abgestuften Hintergrund isoliert erscheinen, nicht unbedingt wegen ihrer symbolischen Bedeutung, als ihrer materiellen Präsenz, ihren Wert. 

Das Wiederauftreten von einem Bild zum nächsten bewirkt eine Erosion der Bedeutung, vergleichbar mit der permanenten Wiederholung der Worte beim österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard. Baer verfolgt somit einen analytischen Ansatz, bei dem die Elemente des Bildes (Motiv, Hintergrund, Rahmen, Zeichen) zu Werkzeugen einer Reflexion über die Konventionen der Malerei und des Blicks werden. In den zwei Gemälden „La chambre Claire“ und „Photography“ ( beide 2024) von Monika Baer, die in der Ausstellung zu sehen sind, bekommt diese Geste eine wörtliche Wendung: Kleine rechteckige Spiegel, die auf einer rosafarbenen Fläche befestigt sind, reflektieren wie eine Fotografie den direkten Abdruck der Welt, ohne ihn zu kommentieren, und fragmentieren den umgebenden Raum in wechselnde, visuelle Bruchstücke ohne Hierarchie. Im Vergleich zu Merkels Werk erhält das, was bei ihm eine rein abstrakte Konstruktion ist, plötzlich ein reflexives und konkretes Potenzial. 

In Merkels „24.05.05 Umbra“ und „24.06.02 subduct“ (beide 2024) erzeugen die Wiederkehr der rechteckigen Form und das Vorhandensein eines Gitters, das von farbigen Pinselstrichen durchzogen wird, eine Wirkung von Lichtstrahlen, einen Effekt der Fragmentierung durch Spiegelung. Was Baer durch das Spiegelobjekt zum Ausdruck bringt, übersetzt Merkel in rein bildliche Begriffe. Die Malerei wird gleichzeitig zur Oberfläche und zum Spiegelbild, zur Struktur und zur Erscheinung.

Von der analytischen Oberfläche Baers zum vibrierenden Fluss David Medallas wandert der Blick vom reflektierenden Werk zu dem eines kosmischen Pulsschlags. Als vielseitiger Künstler und Pionier von kinetischer Kunst, entwickelte Medalla seit den 1960er Jahren eine Praxis, die sich in ständiger Wandlung befindet, von der figurativen Zeichnung zur Skulptur, von der Performance zur visuellen Poesie. Seine berühmten "Cloud Canyons", Seifenblasenmaschinen, vermitteln eine organische und kosmische Vorstellung von Schöpfung, in der Materie zu Atem und Energie wird. 

Durch die Verbindung eines minimalistischen Ansatzes mit intuitiver und informeller Praxis versuchte Medalla, die Starrheit des Minimalismus zu überwinden. Bei ihm ist die Form niemals festgeschrieben, sondern entsteht und verändert sich im selben Moment, wird so zum Schauplatz einer unaufhörlichen Wandlung des Sichtbaren. In der Zeichnung „Two Lesbians in a Café at Montmartre in Paris“ (1981) eröffnen die zitternden Striche und die Intimität des Motivs einen lebendigen Raum, durchzogen von Begierde und Bewegung. Angesichts dieses sprudelnden Universums scheint Merkel in „25.01.03 shell“ (2025) seine abstrakte Strenge aufzugeben. Das Gitter verwandelt sich in ein Fenster, während sich die grün-violetten, X-förmig gemalten röhrenförmigen Formen als hängende Äste entfalten. Der Raum des Bildes lässt sich nicht mehr als geschlossene Fläche lesen, sondern als ein Energiefeld in instabilem Gleichgewicht, in dem die Formen aufeinander reagieren, sich anziehen und verändern.

Die „Masken“ mit rautenförmigen Augen von Medalla suggerieren ebenso wie die vibrierenden Rechtecke von Merkels „24.06.02 subduct“ nicht nur eine optische, sondern auch eine psychische, fast mediale Tiefe. In dieser Spannung verbindet sich Merkels Strenge mit Medallas poetischer Flexibilität: Der eine übersetzt in abstrakte Begriffe, was der andere in der Sprache der Sehnsucht und des Flusses ausdrückt. Ihre Werke entwickeln auf ihre jeweils eigene Weise eine Kosmologie der Malerei, einer Art, das Bild zu einem Kraftfeld zu machen, zu einem durchquerten Raum, in dem sich die Entsprechungen zwischen Architektur und Kosmos, Materie und Geist wiederholen.

Der Dialog mit Mimosa Echard offenbart schließlich eine weitere Dimension von Merkels Werk, nämlich die einer Malerei, die als organische Membran verstanden werden kann, geprägt von einem technologischen System. In „Angoisse Mythique (La Théorie de l'évolution)“ (2024) komponiert Echard eine dichte Oberfläche aus einem Gewebe das zum Schutz vor elektromagnetischen Wellen, mit Aluminiumfoliengittern überzogen ist und mit Fotografien von Schaufensterpuppen und Objekten versehen wurde. Diese durch ätzende Flüssigkeiten veränderte, oxidierte Bildoberfläche entfaltet eine Palette metallischer Grüntöne, die sowohl an ein Informationsnetzwerk als auch an einen biologischen Organismus erinnern. Ihre Werke, die oft aus Harzen, Pflanzenfragmenten oder versehen mit Konsumgütern hergestellt werden, erzeugen hybride Texturen, die zwischen Chemie und Alchemie oszillieren. Betrachtet man ein Gemälde wie „18.09.03 Master Slave System (afterglow)“ (2018) von Merkel, so offenbart diese Logik des Rasters und der Überlagerung Affinitäten, die auf der Zirkulation von Formen und verbundenen Signalen beruhen. Bei Echard gleicht die Komposition einer Schnittstelle, auf der die Bildschichten wie Daten funktionieren, während ihre leuchtenden, grellen Farben an das Licht von Bildschirmen oder eine chemische Reaktion erinnern. Ihre Arbeit hinterfragt ebenso wie die von Merkel die Gleichzeitigkeit und Durchlässigkeit von organischen und technologischen Systemen. Während Merkels Strukturen in einer bildlichen Logik verankert bleiben und Echard die Verletzlichkeit der Fotografie erforscht, spielen beide mit Überlagerung und Spannung von Schichten und Texturen, schaffen so ein sensibles Netzwerk, in dem das Biologische auf das Digitale trifft.

Durch die Zusammenführung dieser vier Künstler bietet „On the Mirror Stage“ eine Erkundung der Berührungspunkte zwischen Abstraktion und Realität, zwischen System und Leben. Die Malerei von Klaus Merkel erscheint dabei als ein matrixartiger Organismus, der in der Lage ist, andere Ausdrucksformen zu reflektieren und mit ihnen in Dialog zu treten. 

Im Spiegelspiel zwischen Baer, Medalla und Echard offenbart sie seine Malerei nicht als geschlossenes System, sondern als Raum der Verbindung zwischen Materie, Gedanken und Bild. Zwischen Struktur und Fluss, Ordnung und Energie, Geometrie und Chemie skizziert „On the Mirror Stage“ eine Vision der Malerei als Feld kontinuierlicher Transformation, als lebendiger Spiegel, in dem Abstraktion, weit davon entfernt, sich in sich selbst zu verschließen, zu einem Zugang zur Welt wird.

aus dem Französischen von KM mit KI