Die Räume im Neubauflügel des Kunst Museum Winterthur sind so hell erleuchtet, dass es fast weh tut in den Augen. An den Wänden hängt Abstrakte Malerei von den 1980er Jahren bis heute. Bilder von Gerhard Richter und Mary Heilmann, von Bernard Frize, Louise Fishman, Jack Whitten – sie alle Stars ihrer jeweiligen Szenen und die meisten zugleich skeptisch gegenüber jeder Form des Malerheldentums.
Neben einem bodentiefen Fenster, durch das der trübe Nachmittag in den Saal dämmert, leuchtet ein Großformat in Grün und Weiß. Zwei schwarze Linien pflügen sich parallel vom oberen Rand über die Bildmitte hinaus, begrenzen ein unscharfes Feld in verwaschenem Khaki-Olive. Irgendwann habe er die Bilder dieser Serie einfach „Batterien“ genannt, sagt Klaus Merkel – aufgeladen mit den Entscheidungen aus früheren Werkphasen, mit dem unermüdlichen Nachdenken über die Malerei, über die Unmittelbarkeit und Vermitteltheit ihrer Bilder, und zugleich bereit, ihre Energie einzuspeisen in künftige Bildprogramme.
Erstmals zu sehen war das Bild aus Winterthur 1989 in der New Yorker Massimo Audiello Gallery. Merkel, 1953 in Heidelberg geboren, hatte in den 1970er Jahren an der Freiburger Außenstelle der Kunstakademie Karlsruhe bei Peter Dreher Malerei studiert. In den späten Achtzigern war er dann an mehreren wichtigen Ausstellungen beteiligt. Im Kassler Fridericianum etwa waren seine Arbeiten zusammen mit den erstmals in Deutschland gezeigten Skulpturen von Jeff Koons zu sehen. In Düsseldorf ordnete er sämtliche Bilder seiner Soloschau „(freundlich)“ auf lediglich einer langen Wand dicht an dicht von der Decke bis zum Boden und entwertete so die Rolle des Einzelbildes zugunsten des größeren Bildzusammenhangs. Die Kritikerin des renommierten US-Kunstmagazin „Artforum“ sah hier einen „Vollprofi bis in die Fingerspitzen“ am Werk: „Seine Arbeiten entsprechen mit äußerster Eleganz und Präzision dem gesamten Lexikon, das wir heute mit uns führen, wenn wir uns Bildern nähern“.
Dass Merkels Bilder in der Ausstellung im Kunst Museum Winterthur der New Yorker Szene zugerechnet werden, ist nicht ohne Grund. Während mehrerer Aufenthalte dort hatte er die Maler David Reed und Jonathan Lasker kennengelernt, mit denen er bis heute eng befreundet ist. Arbeitete sich die Malerei in Deutschland damals intensiv an der deutschen Geschichte ab, stand in den USA Ende der 1980er Jahre die Auseinandersetzung mit der Minimal Art und ihrem Hang zum Systematischen zur Debatte und die Appropriation Art als Kunst der Aneignung zwischen Kopie und Karaoke. Beides kam Merkels Interesse an der Malerei als einem System abstrakter Zeichen entgegen. Anfang der Neunziger Jahre beschloss er, alle seine seit 1988 entstandenen Bilder auf sieben großen Tafeln nebeneinander im Maßstab 1:10 noch einmal zu malen. Diese „Katalogbilder“ markierten einen Wendepunkt in Merkels Werk. Sie bildeten den Fundus, aus dem er sich künftig bedienen sollte. Er begann, „Bilder mit Bildern zu malen“.
Seither ist kein Bild mehr für immer im Archiv verschwunden, alle Motive sind prinzipiell zu jedem Zeitpunkt verfügbar. Sie wandern durch das Werk, sortieren sich zu immer neuen Ordnungen, ältere stehen neben jüngeren, ohne Hierarchie und auf Augenhöhe. Sie kommunizieren miteinander über die Zeiten hinweg. Manchmal lässt er auch Freunde wie aus einem Musterbuch Motive aus seinem Fundus wählen, die er dann auf der Leinwand als „Porträts“ arrangiert oder zu „Stacks“ stapelt. „Meine Bildsprache bewegt sich in eigenen Systemen“, sagt Klaus Merkel, „sie kann einem formalen Plan folgen oder Abbild bereits gemalter Werke sein“. Wie er durch Wiederholung das Verhältnis von Bild, Original und Kopie in Malerei auflöst, macht seine Bilder überraschend vertraut und zugleich absolut gegenwärtig. Tatsächlich wirken viele seiner Leinwände wie Computerdisplays mit zahllosen geöffneten Fenstern, die in immer neuen Sets mögliche Werkzusammenhänge vorschlagen und den Spagat zwischen dem Akt des Malens und dem System der Malerei proben.
Vielleicht ist das mit ein Grund, weshalb Merkels Werk derzeit auch international verstärkt von einer jungen Generation von Malern und Kuratoren wahrgenommen wird, die seine Bilder auf Instagram teilen oder – wie zuletzt in einem Offspace in Los Angeles – für Ausstellungen zu aktuellen Themen wie das Verhältnis von Kunst, Wert und kollektivem Handeln anfragen.
Für Klaus Merkel, der bis 2020 als Professor für Malerei an der Kunstakademie Münster lehrte und kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, ist das nicht nur eine schöne Bestätigung seiner Arbeit, sondern auch Anlass das eigene Bildprogramm aus immer neuen Perspektiven zu reflektieren – und zu erweitern. Auf dem Arbeitstisch in seinem Freiburger Atelier liegen schon die korrigierten Skizzen für das nächste Bild.
Portrait Klaus Merkel zur Ausstellung
Von Gerhard Richter bis Mary Heilmann. Abstrakte Malerei aus Privat- und Museumsbesitz.
Kunst Museum Winterthur