Klaus Merkel

Texte

UN-SDA: Real Abstraction The Californian Subject 3

Los Angeles, Temples, 2024

....In den 1990er Jahren begann Klaus Merkel (geb. 1953) eine Reihe von Gemälden, in denen er sein gesamtes bisheriges Œuvre im verkleinerten Maßstab 1:10 auf mehreren großen Leinwänden wiederholte. Auf diese Weise eröffnete er der Malerei ein virtuelles Feld verfügbarer Zeichen, die sich in einer unendlichen Kombinatorik von Ordnungen in sich selbst wiederholen können. Die Ausstellung zeigt fünf Gemälde aus einer Serie, die unmittelbar darauf folgte: die „Ungemalten Bilder“. Bilder, die nicht gemalt wurden, aber hätten gemalt werden können. Bilder, die virtuell möglich waren - sechs auf jeder Leinwand.

In den 1980er Jahren entwickelte Merkel eine Malerei, die aus isolierten, einfachen Kombinationen von malerischen Effekten bestand, die als visuelle Zeichen gelesen werden konnten, die sich von Bild zu Bild konjugierend wiederholten. Diese Zeichen bezogen sich auf nichts - auf keine äußere Welt, keine bildimmanente Konstruktion. Durch die Wiederholung der Bilder im Maßstab 1:10 wurden diese Zeichenkombinationen von ihrer identifizierenden Einbindung in einen Bildträger - ihrem Status als Tafelbild - befreit. Sie wurden virtuell. Das gemalte (Zeichen), das "Bild" als Kontext dieser Zeichen und der Träger des Bildes, das Tafelbild, traten auseinander und konnten neu kombiniert werden... Das gesamte bisherige Œuvre auf 7 Tafeln; die Bilder, die an einer bestimmten Gruppenausstellung beteiligt waren, auf einem Bild; sechs mögliche, aber nicht gemalte Bilder auf einem Bild. Die theoretische Bedeutung dieses malerischen Modells ist weitreichend.

Die inneren und äußeren Beziehungen, deren Kopplung die Institution des Tafelbildes innerhalb der Institution der Kunst herstellt, scheinen quasi natürlich zu sein. Die Kopplung war konventionell: das Gemalte, das Bild und der Träger - man hatte sie in der Institution "Malerei" immer miteinander identifiziert, und mit ihrer Identifikation war eine bestimmte Verwendung dieser Bilder verbunden. Ein praktischer Gebrauch in ihrer Ausstellung, ihrer Illustration in Katalogen, ihrem Handel. Ein symbolischer Gebrauch in der Bildung des betrachtenden Subjekts und des Publikums, das eine Öffentlichkeit bildet, sowie im Konsens über eine gemeinsame Realität. Es war eine bestimmte Art, Subjekte einer bürgerlichen Öffentlichkeit und Objekte bürgerlicher Märkte zu produzieren. In dem Maße, wie neue Kopplungen entstehen, dehnt sich das vom Träger losgelöste Bild in den Raum seiner Ausstellung und seiner Funktionen aus - in einem historischen Moment, in dem das Publikum dieser Öffentlichkeit und der freie Wettbewerb dieser Märkte nur teilweise und wahrscheinlich immer weniger bestimmt sind.

Während die vereinzelten malerischen Effekte als von der alten Repräsentations-funktion des Gemalten befreit bezeichnet werden können, ist die gesellschaftliche Konvention des Bildgebrauchs seine Repräsentation. Alles, was bildwürdig wird, wird aufgewertet - automatisch. Es gibt kein Bild ohne Wertung. Bilder dienten dazu, den zweiten Körper des Königs zu visualisieren: die Herrlichkeit des Staates. Es bedarf einer chirurgischen Präzision, um das Gemalte so weit von Bedeutung und Affekt zu entkleiden, dass sein Wert als Bild seine Bezüge verliert und gegenstandslos wird. Wenn die Tendenz des Bildes, zu bedeuten, zu verweisen und zu verherrlichen, neutralisiert ist, wenn es eine leere Formel ist, dann treten die abstrakten Bewertungsmechanismen der symbolischen Ordnungen, die es umgeben, hervor und werden sichtbar. Anstatt konkrete Inhalte zu bewerten oder abzuwerten (zum Beispiel die Malerei innerhalb der Kunst oder ein bestimmtes Bild innerhalb der Malerei), wird die Bewertung abstrakt.

Der Wert ist von jeder konkreten Referenz befreit. Wert als stille Potenz, ohne Bezug, ungebunden, ungedeckt, aber als Systematik von Wertkategorien vor jeder Bewertung präsent - als Maßstab. Als Programmcode der Bewertung. Die völlige Sinnlosigkeit von Merkels Bildfolgen ist die Voraussetzung für die Veranschaulichung einer Systematik der konventionellen Bewertungskategorien der Kunst: Gemaltes, Bild, Betrachter, Träger, Ausstellung, Publikum, Katalog, Markt und Gesellschaft (nebst imaginären und identitären Zuschreibungen, die nur darauf warten, auf etwas aufgesattelt zu werden). Merkel reiht sie auf und schiebt sie ineinander; er bewertet nicht, er schreibt auf - indem er sich aller Bewertungen enthält, gelingt es ihm, sein Œuvre als Niederschrift eines Bewertungssystems in Abstraktion zu entwickeln.

Ich beschreibe das malerisch-semiotische Werk von Klaus Merkel als Modell einer realen Abstraktion, einer realen Abstraktion, die "die Kunst" ist, und als Kunst ist sie vergleichbar mit anderen Systemen institutioneller Tatsachen, wie z.B. dem Geld. Eine Beschreibung der malerischen Operationen im Konzept der realen Abstraktion: - Der Prozess der Abstraktion: Die bildfüllenden malerischen Zeichen und Effekte sind leer, neutral, ja entwertet. Merkel strebt nicht nach Spezifizierung, Originalität oder der Weiterentwicklung von Lösungen für bildimmanente Probleme. Sie sind Chiffren, Spielsteine, Typen, Platzhalter. Sie sind austauschbar und wiederholbar. Anstatt seine malerischen Gesten mit Inhalt, Ich und Bedeutung aufzuladen, entwertet er sie - sie sind alle gleich, austauschbar. Die malerischen Zeichen werden abstrahiert - nicht indem man sie von einem naiven Realismus abzieht, sondern von der Bedeutung als solcher. Die Bedeutung als unterschiedliche Bedeutungen in einem Wertesystem von Bedeutungen wird neutralisiert. Die Zeichen werden indifferent. Alles wird gleichwertig.

- Diese Abstraktion ist eine Trennung zwischen dem Konkreten und dem Besonderen. Die neutralisierten, wiederholbaren, indifferenten Zeichen lösen sich von der gemalten Präsenz. Sie werden virtuell verfügbar. Sie befreien sich auch davon, als einmalige Kombination von Effekten in einem organischen Tafelbild, das sich als einmalig präsentiert, präsent sein zu müssen. Sie werden rekombinierbar. Sie können in verschiedenen Maßstäben wiederkehren: Einmal als gemaltes Zeichen = Bild. Dann, als gemaltes Zeichen, als "Bild" im Maßstab 1:10 in einem anderen Gemälde. Manchmal defragmentiert in neuen Bildern. Die Identifikation des Bildes als "gemalte Farbe" und Bildträger im Tafelbild wird aufgehoben.

- Die Loslösung vom Konkreten in der Abstraktion ist zugleich eine Verallgemeinerung: Die malerischen Zeichen, losgelöst von ihrer Identifikation mit bestimmten Bildern, werden virtuell. Sie werden zu Elementen eines Systems, das nicht physisch verortet ist und als permanente Möglichkeit ihrer Aktualisierung existiert. Mit den Elementen sind die möglichen Ordnungen ihrer Verteilung gespeichert, genauer gesagt, die virtuell möglichen und die konventionellen, institutionell realisierten Möglichkeiten werden unterscheidbar. In der Virtualität der Verallgemeinerung wird das real Abstrakte und das Fiktive/Potentielle unterscheidbar.

Das disidentifizierte Einzelbild verliert seine Präsenz, ebenso wie die antizipierte Verkörperung durch die Rezeption der Publikation. Das emergente Phänomen der Virtualität erfordert jedoch eine ständige Aktualisierung, und diese ist verkörpert. Als verkörperte Form ist sie bedingt und abhängig von ihrer materiellen Infrastruktur. Die virtuelle Menge der möglichen Aktualisierungen kann natürlich ihre eigene materielle Infrastruktur verändern. In der Herstellung, in der praktischen Wiederholung, in der Körperlichkeit der Virtualisierung gibt es Kontingenz: Raum für Handlungsspielraum. Das Modell von Klaus Merkels Œuvre zeigt die Bedingungen für die Möglichkeit einer Alternative zur konventionellen Realisierung....