Eva Barto
Melanie Gilligan
Klaus Merkel
2018 wird die politische Linke aufgrund zweier historischer Ereignisse gezwungen sein, in den Spiegel zu blicken: zum einen jährt sich Karl Marx’ Geburtstag zum zweihundertsten Mal, zum anderen ist es fünfzig Jahre her, dass die Pariser Studierendenunruhen des Jahres 1968 einen längst überf.lligen gesellschaftlichen Wandel anstießen. Beide Anlässe bieten genügend Möglichkeit, den sozio-kulturellen Ist-Zustand vergleichend zu hinterfragen. Gerade hinsichtlich des Jahres 2017, einem Jahr des historischen Rückschrittes auf genau diesem Feld, scheint dies von besonderer Bedeutung. Vermutlich wird dabei allerdings wieder versäumt werden, zu reflektieren, wie wir zurückschauen und was dabei erneut übersehen wird. Die Ausstellung „Crises in the Credit Systems“ nimmt ihren Ausgangspunkt im Nachdenken über die Arbeit dreier Künstler*innen aus drei verschiedenen Generationen, für deren medial überaus heterogene Praxis der fiktionale Umgang mit Zeit und historischem Material zentral ist.
Historische Reflexion findet für gewöhnlich nur aus Anlass von Jubiläen statt und ist abhängig von einer „Tradition“ des Rückgriffs auf das, was kulturell relevant erscheint und wird mit Bezügen auf die Zeit vor über zwanzig Jahren legitimiert: in der Politik der Umgang mit der Wiedervereinigung, in der Kunst die Szene Kölns, beide in den 1990er Jahren. Was dabei übersehen wird, ist das Gerade-Vergangene, was nicht mehr gegenwärtig ist, aber auch nicht weit genug zurück liegt um „rückgriffs-fähig“ zu werden: das letzte Jahrzehnt in dem die Entscheidungen gefällt wurden, die uns unmittelbar als „Realität” umgeben. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf Melanie Gilligans vierteilige Videoarbeit „Crisis in the Credit System“ von 2008, die nur Wochen nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers veröffentlicht wurde. In vielerlei Hinsicht nahm sie die unmittelbaren Auswirkungen und Spätfolgen der damaligen Ereignisse vorweg. Die Ausstellung in der Galerie Max Mayer versucht nun, dieses Kunstwerk in seiner Entstehungszeit zu verorten und einen Rückblick zu ermöglichen. Die geschichtlichen Ereignisse sind dabei nicht als einzelne, konsumierbare Monaden zu verstehen, sondern als etwas Nicht-abgeschlossenes, dessen Fragmente durchaus relevant für die Gegenwart sind. Eva Barto, Melanie Gilligan und Klaus Merkel haben vor diesem Hintergrund ihre jeweiligen künstlerischenPraktiken entwickelt, die in der Ausstellung einander gegenüberstellt werden.
Der Rahmen, die Bühne, auf der das alles geschieht, ist die Galerie: eine Schnittstelle zwischen historischer Reflexion, gegenwärtiger Produktion und der Zukunftswette. Innerhalb dieses spezifischen zeitlichen und räumlichen Rahmens werden (materielle) Gesten miteinander und mit dem „Außen“ verglichen und somit Markt-Wert generiert. Laut Marx sind im Kapitalismus alle unsere Aktivitäten durch die abstrakte Gleichwertigkeit des Tauschwerts miteinander verbunden,weshalb das gesamte soziale Kapital die Summe dieser Tausch-Beziehungen ausmacht. Die Galerie ist ein Zeit-Raum, in dem diese Verhältnisse verhandelt werden. So greift Eva Barto mit ihrer Arbeit „Latecomers’ overtimes“ in die Parameter der Gleichung ein und ändert ihre Variablen: die Uhr des Galeristen, die den zeitlichen Rahmen des Tausches bestimmt, ist so manipuliert, dass sie jeden Tag vier Minuten langsamer läuft und die Galerie demnach mit laufender Ausstellungsdauer immer länger geöffnet bleibt. Die Differenz zwischen der Normzeit und jener, nach der die Galerie tickt, wird in einem Heft notiert und auf Nachfrage veröffentlicht. Zeit ist die notwendige Konstante für den auf Wertsteigerung zielenden Tausch, welcher dem Kapitalismus zugrunde liegt. Indem Barto diese Konstante manipuliert und sie als künstlerische Fiktion einsetzt, greift sie in die vermeintlich „natürlichen“ Voraussetzungen kapitalistischen Handelns und Denkens ein. Das klischeehafte Wissen um die Relativität von Zeit wird im Zusammenhang mitden kapitalistischen Voraussetzungen für Tausch und Wert jedoch ausgeblendet. Bartos Arbeit fiktionalisiert den Parameter Zeit und schafft somit einen erweiterten Funktionsrahmen der Galerie sowie dieser Ausstellung.
Diese Fiktionalisierung von Zeit, die vermeintliche Gleichzeitigkeit des eigenen, motivischen Materials, ist eine der Grundvoraussetzungen für das Verständnis der Arbeit Klaus Merkels. Seine aus Miniatur-Rückgriffen auf existierende Bilder bestehenden Malereien zeigen die malend organisierende Geste neu und gegenwärtig auf der Leinwand. In der Ausstellung „Crises In The Credit Systems“ werden drei für seine Praxis exemplarische Arbeiten gezeigt: 93.06.02 und das Gliederungsbild veranschaulichen das Ordnungsprinzip, die Inserts und ihre Größenverhältnisse, 02.10.02 Exhalle , eine der wenigen horizontalen Arbeiten, verdeutlicht die Ateliersituation, den Rückgriff auf existierende Bilder als „Material“ für neue. Aufgrund der Horizontalität dieser Arbeit, die ihre Teile wie auf einer Palette darbietet, wird deutlich, wie Merkel aus dem Formen-Alphabet seiner Arbeit spezifische Strukturen und Perspektiven auswählt, mittels denen er dieser Gleichzeitigkeit eine Form gibt. Wie Hanne Loreck bereits in ihrem Text Display über Merkels Arbeit anmerkte, werden die Termini Transfer und Projektion in der Psychoanalyse verwendet, um zu beschreiben, wie gegenseitiges Bewusstsein und daraus resultierende Muster der Zuneigung und Wunschvorstellungen zwischen Personen hergestellt werden. Jedes einzelne Bild Merkels stellt eine Schnittstelle der verschiedenen Transfers von Miniaturen anderer Bilder dar, jedes fügt sein Vokabular in neuen Bezügen neu zusammen. Diese beiden auch für das Verständnis von Merkels Malerei wichtigen Termini belegen, dass seine Arbeitsweise eine hoch subjektive Organisation von Malerei „an sich“ ist, die das komplexe Verhältnis zwischen Medium, Künstler, dem institutionellen System und den Betrachter*innen berücksichtigt.
Melanie Gilligan greift in ihrer Videoarbeit Crisis In The Credit System auf eine Figur zurück, die von rollenspielenden Personen – Archetypen der zeitgenössischen Händler*innen – „angerufen“ wird. Indem das Orakel, der Protagonist, in Trance Vorhersagen über Börsenkurse trifft, macht er die Zukunft verfügbar und eröffnet auf der vermeintlich linearen Zeitebene eine zukunftsgerichtete Perspektive. In Episode drei kann das Orakel nicht mehr auf sein Unterbewusstsein zurückgreifen, das angebetete Börsen-System bricht daraufhin zusammen und lässt die Annahme von Zeit als gleichbleibende Konstante platzen; sie ist die Grundvoraussetzung von Tausch und Wert.
In einer Zeit, in der mit der vermeintlichen Alternativlosigkeit von Faktizität Gewalt ausgeübt wird, ist solches künstlerisches Handeln von großer Bedeutung. Der Mystizismus, das kulturell determinierte Fiktionalisieren von vermeintlichen Fakten, macht den künstlerischen Umgang mit dem Verhältnis von Zeit und Material aus, den die drei Künstler*innen in unterschiedlichen Perspektiven offenbaren: Eva Barto, institutionell reflektierend und mit der Zeit als Variable arbeitend. Melanie Gilligan narrativ und Information nicht getrennt von subjektiver Erfahrung vermittelnd. Klaus Merkel psycho-systematisch, die Invention des Malers auf der Leinwand ins Leere laufen lassend. Diese künstlerischen Fiktionalisierungen deuten auf ein Potential bewusster historischer/zeitlicher Vergewisserung hin, das gerade in Jubiläumsjahren ein differenzierteres Verhältnis zum Gerade-Vergangenen und seinem Potential für die Gegenwart zulässt.
If it’s known it could be better
If it could be better, it’s already useless
only bring that which cannot be better before it’s known
(Melanie Gilligan: “Crisis in the Credit System”)