Klaus Merkel

Texte

Interview mit Susanne Titz und Klaus Merkel: Master Slave System (afterglow), Verfügungsmodelle von Malerei, Wiederaufführung der Ausstellung und neugefasster Werkbegriff.

Berlin, (Hrsg.) Till Julian Huss und Elena Winkler, 2017


„Master Slave System“ ist Titel einer Werkgruppe von 2010 und war Ausstellungstitel im Düsseldorfer Galeriekontext 2011. Mit diesem Titel und dem Zusatz (afterglow) versucht Klaus Merkel das Übergreifende anzuzeigen. Der mehrdeutige Ausdruck wird seither für Bilder, Vorträge usf. eingesetzt. Er soll den Einpersonenbetrieb aus Konzept und Handwerk markieren: Maler und Produzent in der Doppelrolle und Werkstück in der Spannung Wiederholung und Idee. Der Ausdruck weist auch auf Unterwerfungsgesten hin, „The master-slave dialectic is full of historicity. The present hurts, here, now, Merkel is topping from the bottom“ so der Künster und Theoretiker Nicolás Guagnini in der Press Release zu Master Slave System (afterglow),Gallery Joe Sheftel, New York 2014. Die Verwendung in Produktionssystemen bei Verschaltung, Synchronisierung von Haupt- und Nebengeräten trifft die Sache ebenso.


Ausgewählte Themenfelder - aus dem Tagungsbeitrag „Wiederholung - Revision eines ästhetischen Grundbegriffs“ von Klaus Merkel am 04. Juli 2014 an der Kunstakademie Münster - Gespräch zwischen Susanne Titz und Klaus Merkel im Museum Abteiberg, Mönchengladbach am 19.03.2015


Susanne Titz: Ich würde gerne biographisch beginnen. Mich interessiert stets der historische Zeitpunkt, zu dem Künstler angefangen haben, zu denken und zu arbeiten, und gegen was sie da gedacht haben. Nicht immer im Hinblick auf aggressiven Widerstand, sondern auf das historische Feld, das da war, das Feld von Professoren, das Feld von Kunstdiskussionen zu dieser Zeit. Mich interessiert auch das, was sich in der Generation zuvor als ein Ende dargestellt hat: Eine Generation zuvor behaupteten einige, mit ihnen sei es zu Ende gegangen, d.h. die Kunstgeschichte erlebte ihr letztes tolles Kapitel in dem was ich, Sigmar Polke, ich, Gerhard Richter, ich, Carl André, gemacht habe. ... und danach könnt ihr Jüngeren eigentlich nur viel dümmer sein.

Klaus Merkel: Das klingt nach rheinischer Kunstgeschichte. Dagegen war ich ziemlich naiv Mitte der 70er Jahre an die Karlsruher Akademie gekommen und habe bei Peter Dreher studiert. Das Klima dort war geprägt von „deutschen Geisteshelden“ - der junge Lüpertz, Baselitz etc., Malerei Brut, dickes Impasto, deutsche Themen. Dreher war mit seiner subtilen Graupalette, den seriellen Reihen, da eher ein Außenseiter. Im Widerspruch zur bundesrepublikanischen Oberflächlichkeit, Grobheit und dünnen Unterhaltung mit ihren vielen falschen Erscheinungen wollte er einfach malen und dazu bedurfte es eines simplen Bildes - ein leeres Wasserglas -, das er durch Wiedermalen und Vervielfältigung bis heute über fünftausendmal zu entwerten hatte, um es als Bild zu behaupten.

Mit der Zeit und nach einigen Exkursionen verstand ich seinen konzeptionellen Realismus und fand seine Haltung schräg und interessant. Diese erste Prägung: konzeptionell zu malen kam daher; nicht ohne Widerstände, versteht sich - und immer die „ Falle Lehrer“ im Visier. In Drehers Umfeld war man tagtäglich mit anderen konzeptionellen Ansätzen konfrontiert: Warhol, On Kawara, Opalka, Peter Roehr; zu Besprechungen in seinem Atelier gab es immer neue Gemälde an den Wänden: Fritz Klemm, Bertrand Lavier, Gerhard Richter, Joe Zucker und natürlich Anselm Kiefer, der mich mit seinen übermalten Büchern packte. Kiefer war anfangs Student bei Dreher. Seit seiner radikalen Ausstellung in der Kunsthalle Bern 1978 war er die „süddeutsche Legende“ schlechthin, mit gerademal 33. Im gleichen Jahr begleitete ich Dreher nach Buchen im Odenwald, in Kiefers damaliges Atelier, ein Schulhaus, in jedem Klassenzimmer war ein gewaltiges Bild in Arbeit. Der Speicher hing voll mit diesen zusammengefrickelten Holzdruckfahnen „Wege der Weltweisheit“, in den Kellerräumen sah man Schlange und Zinkbadewanne inszeniert für die Fotobücher oder für Bilder zu „Unternehmen Seelöwe“. Die Lager überschwemmt mit totgemalten primitiven Portraits - „H.v. Kl./L.Schl., Yggdrasil, noch ist Polen nicht verloren, Horror vacui, Bilderstreit, Malerei der verbrannten Erde“ - so sah die „süddeutsche Grammatik“ für mich damals aus.

Mit einem DAAD-Stipendium ging ich nach Studienende 1980 für ein Jahr nach Wien, es begann „bad “ und „wild“ und „neo-geo“ zu werden und dort kam es zu einer persönlichen Begegnung mit Maria Lassnig - ich begriff: da kommt ein Lebenskonzept mit einer speziellen Haltung, gepaart mit einem gewissen Frust, so intensiv, intelligent und bildhaft zusammen, dass das für mich eine Möglichkeit, ein Weg, eine Sternstunde war. Und von nun an war klar, Konzept und Malerei waren frei kompatibel - Einheiten, die gut vermischt werden konnten.

Richtig wichtig wurde für mich die Retrospektive von Philip Guston 1983 in der Kunsthalle Basel. Direkt nach seinem Tod mit dem damals so schwierig zu diskutierenden Spätwerk. Diese Ausstellung öffnete mir Perspektiven zu meiner weiteren Arbeit. Dabei ging es weniger um die Art und Weise, wie man Brüche inszeniert, sondern die Machart, Macht oder die Kraft dieser Malerei hat mich umgehauen. Und Gustons Werk hat für mich bis heute etwas Bindendes. Die „New York School“ wurde von ihm beendet; er ist der Code-Knacker, jemand, der sein Bewusstsein eingesetzt hat, um hinter das Sublime zu gelangen, eine Rigorosität riskiert und loslegt.

ST: Code-Knacker, was ist das? Was waren die Codes, die man knacken musste, oder die er knackte?

KM: Also damals waren wir in der Pop Art. Aber es war natürlich in der Hauptsache der Code des abstrakten Expressionismus. Guston nimmt Motive aus Literatur und Poesie in die Arbeiten auf; lässt Comics ins Werk einsickern. Robert Crumb bzw. eine Undergroundästhetik einzubauen, traf nochmals einen anderen Nerv. Das Triviale kann einfach nochmal eine tiefere Ebene berühren als der Warenfetischismus des Pop. Und damit wurde dieses „Hohepriestertum“, was ja damals die sublimen- und die abstrakt-expressionistischen Maler für sich beansprucht hatten, gebrochen - und zwar nachhaltig. Guston hat eine ganz eigene Programmatik geschaffen.

ST: Das bedeutet, dass Du nochmals neu auf den abstrakten Expressionismus geguckt hast. Du hast dich damit beschäftigt, wie Ad Reinhardt und Philip Guston da irgendwann standen und beiderseits behaupteten: „Sick of purity.“ Und sich beiderseits dagegen wandten, das Bild nur als hermetisches, auratisches, autonomes Etwas wahrzunehmen sondern es in Beziehungen zu setzen. Und an dieser Stelle ist Ad Reinhardt ja auch eine ganz überraschende Figur: Wenn man ihn nochmals neu liest, ist er wesentlich weniger pur, als man es uns oft glauben machen wollte.

KM: Ein entscheidender Punkt bei Reinhardt war für mich, dass er sich mehrerer Modelle bedient und einen multiplen Weg vorschlägt, vielleicht kann man diese Schritte „impure“ nennen. Im Dreiklang aus seinen Comic-Collagen, den Dia-Serien und den „Ultimate Paintings“ öffnet er den Weg zur minimalistischen und konzeptuellen Kunst. Solch scheinbar Unvereinbares hat mich als junger Künstler sehr beschäftigt, die Stuttgarter Ausstellung 1985 war da wichtig. Erst kürzlich zeigte Zwirner in New York diesen Werkzusammenhang, ohne den man meiner Meinung nach Reinhardt nicht verstehen kann. Mich interessierte damals weniger, wie das „Ende der Malerei“ aussah - dazu hatte mein Lehrer ja eine Antwort gegeben -, vielmehr ging es darum, wie kriege ich Bilder hin, die mit solch komplexen Phänomenen arbeiten. Wie kann so etwas aussehen und wie kann ich drangehen? Welche Bilder halten so eine Prozedur durch? Die sträuben sich ja, weil sie ja automatisch immer originell und Originale sein wollen. Und genau dieser Status musste geknackt werden.

ST: Sie beide waren dann für Dich die ersten Künstler, bei denen Du erkanntest, dass der Produzent neben das Bild tritt und es distanziert wahrnimmt. Sozusagen mitdem Medium, nicht mehr indem Medium arbeitet.

KM: Ja, diese Distanznahme hat zu einer anderen Haltung gegenüber dem Bild geführt. Abstand ist der erste Schritt, um andere Bilder zu machen und einen freieren Zugang zu Bildern zu kriegen. Beide, Guston wie auch Reinhardt, sind da super Modelle, sie holen sich Argumente von Film oder Bühne ins Bild, sie agieren wie Regisseure einer Inszenierung. Erst vor kurzem habe ich mich nochmals mit den spannenden Übermalungs-Akten im Spätwerk Ad Reinhardts beschäftigt. Er übermalt seine Bilder mit ihren eigenen Motiven, schafft quasi eine identische zweite Bildhaut, die der ersten täuschend ähnlich sieht, und nimmt so bewusst eine Statusverschiebung des Ikonischen in Kauf. Reinhardt tätowiert seinen Leinwänden eine Malhaltung ein, die ständig am Bildbegriff und am Bildwert herumsäbelt. Das Bild als einzigartiger Ort der Bildsetzungen und Selbstfindung, wird so von beiden durch einen Entwertungsprozess geschleust. Der Bildraum erhält eine Funktion, wird zum Baukasten und zu einer Fläche, die mit Informationen ausgestattet ist. Die Leinwand ist jetzt Operationsfeld und damit weit mehr als ein bloß ästhetisches Ereignis. Reinhardt verengt sein Feld zu „letzten Bildern“ auf nur noch eine Figur, während Guston seine Bildbühnen immer wieder mit den gleichen Motiven besetzt: ein Inventar an „Schauspielern“ bestehend aus Köpfen, Uhren, Händen, Zigarettenstummeln, Büchern oder Schuhen. Das war eine veränderte Aufführungspraxis von Malerei und das war mein point of view in den späten 80ern.

ST: Ich überlege, ob wir eher zuerst über die Wiederholung sprechen oder eher zuerst über den Bildraum, das Theater oder die Bühne, die neuen Begriffe, die die Malerei plötzlich bekam. Denn ich wüsste gerne, von welchem Zeitpunkt an Du diese Begriffe verwendet hast.

KM: Seit Anfang der 90er. Rückblickend kann ich behaupten: meine 80er Jahre habe ich mit meiner Ausstellung im Kunstverein Düsseldorf 1988 beendet. Die lange Wand war mit Gemälden „tapeziert“, der übrige Raum war leer. 25 Großformate ergaben ein Bild an einer Wand. Mit dieser Hyperrahmung war eigentlich alles erledigt, ein Ausstieg aus dem Bild gemacht und danach war das Einzelbild ein neuer Fall. Dieses „Hyperframing“ war für mich Zeichen und Form der Krise der Repräsentation, die dann direkt zu den „Katalogbildern“ führte. Aber bis zu dieser nächsten Konsequenz flog uns nicht nur die Theorie um die Ohren, mit der Wende in Deutschland, Berlin, einer fetten Finanzkrise, war die Luft für konzeptionelle Malerei richtig dünn geworden. Bis dahin war man eigentlich ganz gut gebettet, angewärmt vom Künstlertourismus Köln / New York - mich eingeschlossen. Kunst nach dem Ende der Kunst, die Krise der Repräsentation! Es war spannend.

Amerikanische Künstlerinnen und Künstler wie Louise Lawler, Allen McCollum, Stephen Prina oder Sherrie Levine behaupteten ihre „appropriations“; Künstler wie Jeff Koons, James Welling, Gerwald Rockenschaub oder Mike Kelley machten das Klima enorm produktiv. Ausstellungsbeteiligungen bei „Schlaf der Vernunft“ im Fridericianum Kassel oder der „BiNationale“ in Düsseldorf und Boston brachten mich mit diesen Künstlern meiner Generation zusammen. Es lief gut in den späten 80ern.

Aber wie gesagt: Nach der Düsseldorfer Show kam für mich eine wirklich dramatische, aber wichtige Phase. Zu sagen: okay, du musst dein Werk verdoppeln, du musst praktisch alle deine Bilder noch mal machen und alles Beiwerk, nämlich das Archiv, die Ausstellung, den Katalog, die Geschichte, die Biografie als Kontext mit ins Bild bringen; du musst alle malereibeschränkenden Einwände ästhetisieren, also malen. Das wurde mein Ding, daraus wurden die „Katalogbilder“.

ST: Was sind die „Katalogbilder“ genau?

KM: Ich habe meine bisherigen Bilder ganz buchstäblich verkleinert, wiederholt, verfügbar und in eine Übersicht gebracht. Denn alle Bilder nach der Düsseldorfer Ausstellung hatten Merkmale: einfach, laut in den Farben, lapidar in der Ausführung und auf Typen reduziert zu sein. Und dann habe ich begonnen, die Bilder im Maßstab 1:10 in ein Bild zu bringen. Das sind die „Katalogbilder“, sieben Leinwandtafeln, auf denen schließlich weit über 500 Miniaturen Platz fanden. Die waren dann 1992 weitgehend fertiggestellt und 1995 abgeschlossen.

ST: In die „Katalogbilder“ kam somit all das hinein, was mich in deiner Malerei sehr schnell an die philosophischen Begriffe denken lässt, die in den 70er- und 80er- Jahren aufkamen: Die Verschiebung, die Wiederholung - als eine, die nicht möglich ist, sondern eben immer eine Verschiebung erzeugt, die Aufführung, das Ephemere. Inwieweit sind Begriffe von Derrida oder Anderen, die in der Philosophie verwendet wurden, auch Begriffe, die für die Malerei funktionierten? Hast Du Derrida als jemanden wahrgenommen, der die Malerei tatsächlich verstand, oder eher als jemanden, der als Amateur an die Malerei heranging, als ein Liebhaber?

KM: Die Frage impliziert: malt der Maler in der Zeit nach der Philosophie? Aber ich meine, es sind echte Parallelitäten. Ich hab das natürlich mitgekriegt, aber nicht in ausführlichen Lektüren. Was mich bei Derrida wirklich interessiert hatte, war, wie er den Text selbst untergräbt. Und ich glaube, dieses Wie war für Maler genauso interessant wie für alle anderen, die sich mit Bühne bzw. allen Arten von Adressierungen beschäftigten, mit einer Bereitschaft zu fundamentalen Umordnungen - vom Signifikant zum Signifikat und zurück - sozusagen.

Die eigenen Arbeiten nannte ich Bastarde. Das war schon früh ein ganz wichtiger Begriff für mich. Die Bilder sollten nicht länger übergeordneten Sinn herstellen müssen. Und daran habe ich mit den „Katalogbildern“ gearbeitet. Dabei zeigte sich, dass die Bilder in ihrem Status verändert waren, bereits eine Umwertung mitbrachten. Das Ganze hatte mit Attrappe zu tun, die Bilder Komparsen im Spiel, sie sollten ja unattraktiv sein, runtergemalt, typenhaft, wie Spielkarten.

ST: Und laden sich mit etwas Anderem auf. Das steht seit je her für das Ende der Moderne: Ein Ende des Metaphysischen, des Auratischen ... eine Auflösung. Dort gab es die Parallele zur Strukturanalyse, die seinerzeit anzeigte und klarmachte, wie ein jegliches Ding, auch jegliche Darstellung konstruiert ist.

KM: Richtig. Ich finde ja, dass die Ebene der Kommentare mit in die Bilder muss. Dort kann alles abgelegt und lesbar werden - das ist mir ganz wichtig.

ST: Wir haben uns schon häufiger über Kippenberger unterhalten, über „Heavy Burschi“, über andere Künstler deiner Generation. Wo siehst Du Querverbindungen innerhalb deiner Generation?

KM: Ich habe ja vorhin angedeutet, wie explizit die Künstler die Krise der Repräsentation bearbeiteten, da gehört Kippenberger natürlich mitten rein. Ich bin genauso alt wie er. Seine ersten Arbeiten waren sofort sichtbar, er hatte 1982 im Forum Kunst Rottweil ausgestellt, vor meiner Ausstellung dort, und ging bei den Grässlins in St. Georgen im Schwarzwald ein und aus. Aber erst 1987, mit der „Peter“-Ausstellung in Köln, fing er an für mich interessant zu werden. Sein skulpturales Kalkül, gepaart mit plattem, treffsicherem Bildwitz und die geniale Collagenhaftigkeit stimmten. „Peter“ war und ist bis heute eine ganz herausragende Ausstellung. Und das wurde von ihm immer weiter getoppt, erst durch „Heavy Burschi“, dann mit „The Happy End Of Franz Kafkas Amerika“ und so weiter... das waren große Würfe... bis hin zu „Metro-Net“.

ST: Aber das heißt, für Dich existierte bei Kippenberger auch stets die Anordnung der Bilder, das In-den-Raum-Gehen, das Umbauen, das Gestell.

KM: Ja, genau. Spannend bei „Peter“ war ja die eingebaute Einverleibung - da waren Arbeiten aus Kippenbergers eigener Sammlung einbezogen: die schwarzen Fischli/Weiss-Objekte hatten ihren Auftritt, der graue Gerhard Richter von 1972 wurde zum „Modell interconti“ umgebastelt, das gerade hier in deinem Haus, im Museum Abteiberg als Leihgabe steht. Das heißt, Zeitgenossenschaft war verdichtet und containert, alles sehr gewagt, unmöglich, sehr direkt. Es gab keine reine Form. Und das fand ich stark. „Heavy Burschi“ war dann die komplette Umstülpung; Kippenbergers Zeichnungen nachgemalt von Merlin Carpenter, diese dann fotografiert und gerahmt an den Wänden, während davor die zerstörten Fake-Gemälde sich im Container türmten. Andere Ästhetisierung! Nochmal: nachmalen, nachfotografieren, in den Müll verfrachten. Es ging ums Wegwerfen, um Entwertung. Die Frage war nur: wie wirft man weg? Kippenberger machte es über diese Frechheit, über den Witz und ich machte es eher über eine Stoischkeit und malerische Systemik. Mein erster Container war die Leinwand mit den verkleinerten Bildern, die „Katalogbilder“ entstanden durch lapidares Wiederholen, Nachschärfen, Nachbauen, Nachverdichten; nichts von Außen holen, alles von Innen nehmen; das war ja genauso bescheuert.

ST: [lacht] Du schreibst: „Der Ausstieg aus dem Bild findet nicht statt“.

KM: Für mich war der Ausstieg aus dem Bild obsolet geworden, ich wollte alles im Bild verhandeln, so sah meine Konsequenz aus. Es ging nur noch um die Frage: wie ich das Ganze nach innen hin organisieren kann. Mir war klar geworden, nur das Bild kann diese installative Fläche sein. Ich muss nicht raus aus dem Ding - sondern kann reingehen. Und dann wurde es super interessant.

ST: Das ist der ganz besondere Punkt in deiner Arbeit: Sie geht immer wiederindas Bild und man gewinnt dabei die Vorstellung einer Implosion, da es schließlich ganz kleinteilig wird, wie ein Pixelhaufen oder Zellhaufen, der immer größer wird, während die Zellen immer kleiner werden. Und darin steckt wahrscheinlich eine Behauptung: ihr alle, die aus dem Bild ausgestiegen seid - das waren ja ganz viele - seid eigentlich geflüchtet vor dem Problem Bild. Oder vor der Frage Bild ...

KM: ...Malerei-Installation zu machen oder mit Malerei installativ zu verfahren war und ist immer noch ein super Plot für viele Maler. Ich fand viel schwieriger, das Ganze zurückzuholen und in eine Bewegung nach innen zu bringen, es implodieren zu lassen, wie du sagst.

ST: Genau, es ist eine Fragmentierung, die dadurch entsteht, dass diese ganzen Variablen und Wiederholungen auf ein Feld kommen. Worin dieses Untereinander-Übereinander zu einem Nebeneinander wird, da ich die Schichtungen zum Schluss überhaupt nicht mehr sehe, vielmehr nur das Ganze und sein Nebeneinander.

KM: Nebeneinandermalen löst das Übermalen komplett ab. Das Nebeneinander bedingt andere Entscheidungsebenen. Das verbinde ich mit Linearität, Skript oder Film. Wir müssen die Bilder lesen. Wir können sie nicht als Einheit nehmen, wir sehen jetzt die Struktur. Wir sehen dem Bild auf den Grund, sehen wie es beschaffen ist, den Bauplan, es zeigt die Gemachtheit, wenn man so will. Und wir sehen immer auch die konzeptionelle Absicht. Übermalung ist noch ein Relikt der Moderne. Übermalen ist immer vom unbedingten Gelingen getragen, das unbewältigte Bild wird verbessert und weiter verbessert, mit flüssiger Farbe so lange geschichtet bis sie endlich aushärtet zum Schluss.

ST: Stimmt, Schichten bedeutet Verbessern. Und es enthält die Zeit...und übertragen auf das Nebeneinander kann man denn auch sagen: Da ist keine Zeit mehr drin. Das Davor und Danach spielt in diesem Nebeneinander keine Rolle mehr. Keine Ahnung, ob es bedeutungsvoll ist, doch interessant ist ja zumindest, dass dieses Vorher und Nachher, das beim Übermalen existiert und dort auch den genialischen Topos des Besser-Werdens, der zeitlichen Entwicklung in sich hat - „Es wird immer besser, die Blüte kommt erst noch“ – hier entfällt. Du hast eine flat picture plane, kein Vorher, kein Nachher, nur Nebeneinander auf einer Fläche.

KM: Ich verlangsame und verzögere Zeit im Bild, okay. Aber entscheidender ist, wie sich das herstellt. Weil die Bilder modellhaft und wiederholbar angelegt sind, funktionieren sie als diskursive Struktur. Jetzt ist der Zeitraum offen für sämtliche Bewegungen, auch Simulationen.

ST: Obwohl Du die ganze Zeit retrospektiv wiederholst?

KM: Ich verfahre seit Jahren retrospektiv: nehme vertraute Motive, Motivkomplexe oder ganze Bilder wieder auf, male Bilder mit Bildern, in neue Bildfindungen können ältere Inserts geladen sein. Die Chronologie, das Biografische und die Nostalgie, die darin stecken, sollen aufgelöst werden. Ich blicke zurück, wiederhole und ignoriere ein Datieren oder Verorten - wann und wo dieses oder jenes Motiv das erste Mal auftaucht - uninteressant! Meine Motive, mein Werkzeug, Material wird verschoben, es unterliegt Kopierstrategien und Motivwanderungen. Das negiert Zeit und befreit. Der Witz ist: ich kann jederzeit und so oft ich will meine Retrospektive malen - oder im Ernst: diesen aufgeladenen musealen Begriff Retrospektive befrage ich mit meinen Mitteln neu.

ST: Wie wichtig ist es, dass Betrachter dieses Wissen haben, dass sie die Bilder entschlüsseln? Ist es wichtig oder ein Vorteil, die Bilder wie in einem Memory zu kennen, sie wiederzufinden, sie zu verbinden auf der Basis, dass ich sie mal in einem anderen Zustand verbunden sah? Dieses Nebeneinander ist ja im Grunde so etwas wie eine latente oder gar permanente Überforderung der Betrachter, die nicht wissen, ob sie erneut das Gleiche oder etwas Anderes sehen, mal so rum oder so rum, und sich fragen, die wievielte Ableitung oder was für ein Algorithmus eine serielle Anordnung nun sein mag. Inwieweit ist das Denken, das zum Sehen hinzukommt, bedeutsam, inwieweit konstruiert es die Bilderfahrung mit?

KM: Das ist eine wahnsinnig gute Frage. Ich glaube, dass die Betrachterkompetenz sich sehr verändert hat, dass es da gar keine Schwierigkeiten mit dem vorher, nachher, über und unter gibt, dass man zwar auf einer Ebene sieht, aber in Ebenen denkt. Stichworte: Neue Medien, Digitalität, Post-Internet Generation... unsere Wahrnehmung scheint immer noch dehnbar zu sein, das kommt dem Verständnis meiner Bildsysteme zugute. Meine Arbeit wird jüngst in „Post Digital“ - Zusammenhängen rezipiert, weil die Darstellung von Ebenen, Vernetzungen, Ausschnitten und Fenstern im Bild regelrecht ein Informationsarchiv aufrufen kann. Malerei, die eine virtuelle Realität antriggert und eine ästhetische Formulierung vorlegt, die nach Frührezeption digitaler Techniken aussieht? Ob wir damit der Frage nach dem Bild in der analogen Tafelmalerei von heute näher kommen? Wenn wir uns Malereigeschichte erneut vornehmen, können wir vernachlässigte Phänomene angemessen aufwerten, die zu Kriterien taugen und die die malerische Praxis dringend nötig hätte. Ad Reinhardt, Guston oder weiter zum Anfang ins 19.Jhrdt.: nehmen wir Seurat – er pariert auf höchstem Niveau die Herausforderung des neuen Mediums Fotografie - was für eine Parallelfahrt! Als Neo-Impressionist geht er kühl und mit Kalkül ans Werk; „Les Poseuses“ z.B. – eine sensationelle Arbeit, die sein Atelier zeigt – steckt voller Verweise, Bilder im Bild, ein gemalter Kommentar.

ST: Wunderbar. Weil wir im Bild sind. Wir denken nämlich über das Bild, über das Medium nach.

KM: Genau, die zeitgenössischen Bildverfahren, in denen wir immer noch schwimmen, sind nicht der einzige Plot, der uns zur Verfügung steht, und deshalb kann uns die Malereigeschichte expansive und nicht nur defensive Modelle anbieten, denn alle Maler hatten in ihrer Zeit ein Medienproblem zu knacken. Es geht nicht mehr darum, wie wir der PostPostPost Moderne eine Insel oder Drehung hinzufügen - der ganze postmodernistische Raum ist ja nichts anderes als eine Korrektivarbeit gewesen - der inzwischen aber eine unerträgliche und bequeme Dauer hat. Das ist ein toter Punkt.

ST: So nehme ich es auch wahr. Kommen wir zu einem Resümee? Du sprichst - auch bei Georges Seurat - immer wieder von den Kontexten, die Malerei hat: gemalten Kontexten, kontextueller Malerei. Gibt es weitere Kontexte, die wir ergänzen müssten? Die Wahrnehmung im Raum und das Thema der Wiederholung in ihm?

KM: Ja, für mich sind gute Ausstellungen ganz wichtig. Gute Ausstellungen haben immer einen kontextuellen Aspekt, sind eine Erweiterung. Mit einer guten Ausstellung kriegt man immer noch etwas gerissen.

ST: Und das bedeutet: der Kontext des einen Bildes ist das andere Bild... sind die anderen Bilder. (Pause) Auf dieser Ebene sehe ich Bilder miteinander oder ich sehe sie nebeneinander.

KM: Wenn ich meine Arbeiten zusammen mit, sagen wir: der „Salle blanche“ von Broodthaers ausgestellt denke, dann hast Du mit einer Setzung eine andere Ebene aufgemacht, dann muss ein anderer Text verhandelt werden. Der neue Raum zieht einen neuen Rahmen nach sich. Dann könnte für meinen Fall klar werden: Der macht ja Bilder über ein Problem des Ausstellens. Dann könnten z.B. meine „Katalogbilder“ kontextuell gelesen werden.

ST: Der Kontext deiner Malerei wäre denn auch am besten einer von anderen Medien?

KM: Das wäre ein Beispiel. Ein konkretes Beispiel ist die Ausstellung „territories multiple“ 2013 mit Nicolás Guagnini in der Galerie Max Mayer: unsere zwei Malereikonzepte waren in einer jeweils dreiwöchigen zeitlichen Versetzung aufgeführt, agierten aber räumlich verschränkt. Vielleicht kann man so sagen: da hatte der Besucher mitzuarbeiten, das Zusammensehen war ihm überlassen.

ST: Ich denke da auch an das Moment, dass Gemälde, wenn sie nebeneinander treten, zu Varianten werden. Wenn in einer Ausstellung Arbeiten von fünf Malern und Malerinnen nebeneinander erscheinen, erscheinen sie als Denkmomente eines Mediums: fünf Systeme oder Möglichkeiten, die Malerei zu denken. In dem Moment, da deine Arbeiten neben Marcel Broodthaers erscheinen, findet etwas völlig Anderes statt. Dann spürst du wirklich wie sich etwas verschiebt, vom Medium hin zu größeren Systemen.

KM: Wir haben eigentlich bis hierher eine ganz gute Runde hingelegt. Ich danke Dir. Ich würde vorschlagen, ich schalte jetzt mal das Gerät aus....