Geht man durch die Ausstellung des Kunstvereins, fällt die eigenwillige Präsentation durch ihren die Aura des einzelnen Bildes scheinbar ignorierenden, unkulinarischen Umgang mit einer Kunst auf, die eine strenge Reduzierung auf fast monochromen Farbgrund und einfache Formen wagt. Es sagt viel über die ästhetische Selbstbespiegelung von Klaus Merkel aus, wenn in der von ihm wirkungsvoll gestalteten, lichtdurchfluteten Halle die unter- und nebeneinander gehängten Bilder als gleichberechtigte Fantasien abstrakter Wiederholungen erscheinen. In großem Respekt vor Farben, die er im Kontrast zu Linien setzt, und Assoziationsformen, die er vor dem Ordnungszwang instrumenteller Vernunft schützt, ist ihm eine das Auge provozierende Harmonie jenseits fundamentaler Zusammenhänge Verpflichtung. Wenn Merkel von „begrifflosen Begriffen“ spricht, meint er eben dies: Das automatische Denken wird, wie es sich im Malakt vollzieht, zur konstituierenden, dynamischen Komponente des Bildes, ohne dass es den Malakt selber begrifflich fixiert.
Was hier vielleicht deutlicher zu sehen ist als anderswo mag sich im Bereich zufälliger Intuitionen finden, die scheinbar Zerrissenes zusammenhalten und über die Individuierung kollektiver Wahrnehmungen zu einer Qualität gelangt, die mit Abbildlichkeit überhaupt nichts mehr zu tun hat. Auch Assoziationen mit Realem, die sich zwangsläufig einstellen, ohne dass sie sich konkretisieren ließen, vermögen dieses Urteil nicht zu korrigieren. Die Begegnung mit dem, was in Städten wie Wien, wo Klaus Merkel von 1980 bis 1981 dank eines DAAD Stipendiums sich aufhielt, auf ihn einwirkte, hielt er sowohl als bemalte Bücher als auch in einer Unmenge unliterarischer Notizen fest. Ein Indiz dafür, dass es sich hier trotz aller Distanz zu unmittelbar Wahrnehmbaren um eine Verarbeitung durchlebter Wirklichkeit handelt. Malend die Realität imitieren zu wollen, lehnt er als Versuch, das von Zeichen überflutete Reale zu verdoppeln, ab. Er kommt erst gar nicht in Versuchung, der erkannten Unterschiedlichkeit von Innen und Außen, von Realem und Symbolischen Rechnung zu tragen. Es ist für Merkel typisch, dass er auf abstrakte Formulierungen zurückgreift, sich ihrer erinnert, um die Nuance einer Form zu verändern, die Wege sich überschneidender Linien zu korrigieren, den Kontrast von Farbe und Zeichen zu variieren. Die Wiederholung zeichnerischer Gesten bleibt ebenso eine konstante Komponente des Merkeischen Werkes wie der ewige Versuch, die unüberschaubare Komplexität einer mit Symbolen überladenen Welt mit einer reduzierten Anzahl modifizierter Zeichen zu kontrastieren. Wenn Merkel die Autonomie einer Linie von fein nuancierten Farbflächen absetzt, assistiert stets eine auf nichts zurückführbare Wahrnehmungsweise.
Es ist einfach, festzustellen, dass Merkel nach Klarheit strebt, dass seine Entwicklung zu immer stärkerer Vereinfachung und subtiler Klärung führt, intellektuell wie malerisch.
Beim Betrachten der Bilder ahnt man, wie sehr seine künstlerische Wahrnehmung selektiert, in der Absicht, die gespeicherten Form-und Symbolfragmente, die er dem permanenten Strom urbaner Zeichen entreißt, zu verinnerlichen, dadurch zu vereinzeln.
Diese Atomisierung figurativer Chiffren lebt vom bewussten Puritanismus, von der versierten Säuberung und der systematischen Beschränkung. Auffallend der ökonomische Umgang mit Farbwerten. Seine Palette beschränkt sich auf ein Gift- und Gelbgrün, auf Schwarz und Weiss, auf Rot und Blau. Die rein und gemischt auftretenden Farbwerte treten miteinander in knallharte Korrespondenzen, signalisieren Harmonien und Dissonanzen, besetzen pompös die Szene des von zwei Farben beherrschten Bildgevierts. Der Betrachter wird Zeuge eines Kräftespiels zwischen zwei gleich starken Farbsubstanzen, wobei nicht selten die eine als Schimmer in der anderen präsent ist. Alles in allem werden Grundfiguren variiert, zartfarbene, in Rosa, Blau, Grün gehaltene Kompositionen mit kaum beschreibbaren Konstruktionen vertikal und horizontal verlaufender Linien, mit fast ovalen Formen, kombiniert mit einer angrenzenden Linie. Wo Merkel eher monochrome Rot-, Blau- und Grüntöne einer sich bescheidenen Palette bevorzugt, dort bauen sich kontrastierte Form- und Zeicheninseln in abgedunkelten Farben auf, lose Zeichen, in Beziehung zueinander gesetzt, schwarze, kettenbildende Ringe, zarte Gitterformen, die ein schwarzes Rechteck umzäunen, Linien, die sich zu Figurationen zusammenschließen, schlanke, meistens fast isoliert schwebende Figurationen, die in ihrer Anlage und Wirkung an nichts erinnern. Manchmal füllen fleckenhafte Gebilde, die sehr signethaft wirken, lediglich eine insulare Mitte, der Rest der Fläche bleibt leer. Man hat den Eindruck, diese Zellform braucht den sie umgebenden Freiraum zum Atmen; sie setzt sich ab, also ist sie. Selbst diese künstlerische Freiheit ist nicht ohne innere Ordnung und ist nicht austauschbar. Nur dem, der bereit ist, genau zu schauen und sich einzulassen auf dieses vor allem kunstimmanenten Fragen gewidmete Werk, erschließen sich die Bilder. Die Bildwirklichkeit begreift Merkel als für sich existent; er ist befruchtet und durchdrungen von der Auseinandersetzung mit den beiseite geschobenen Zwischenräumen der von Alltagsblicken durchsiebten Städte, von Erinnerungsfetzen, die sich in den Bildern in Form konkreter Zeichen niederschlagen. Als Maler verzichtet Merkel auf die Mehrdeutigkeit zu enträtselnder Symbole. Seine Zeichen aus Farbe und Form existieren für sich, weit entfernt, als etwas zu erscheinen, das jenseits ihrer puren Faktizität liegt.
Wenn der 1953 in Heidelberg geborene, heute in Freiburg lebende Künstler, der von 1975 bis 1980 an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Peter Dreher studierte, die unendlichen Symbolfelder des Realen durchstöbert, dann nur, um ihnen ein losgelöstes „Vokabular von strukturellen Zeichnungen“ (Markus Brüderlin) abzugewinnen. Geht man die Reihe seiner ausgewählten Arbeiten durch, fällt auf, dass er die grosse Wand des Hauptraumes mit einer Vielzahl von Bildern unterschiedlicher Formate sehr genau szenisch füllt, gleichzeitig aber eine selektierende Hierarchisierung divergierender Motive aufzuheben bestrebt ist. Eine das einzelne Bild betonende Balance stellt sich ein, die den Betrachter zwingt, auf das vereinende Zusammenspiel zu achten.
Wie andere Künstler vor ihm, spürt Merkel ganz instinktiv, dass im scheinbar Fragmentarischen mehr Leben und Spannung liegen kann als in der vordergründigen Vollendung. Dass man jedoch trotzdem nicht in den Sog spontaner Faszination, in den Bannkreis dieser eigenwilligen Kalligraphie gerät, hat mit der asketischen Strenge des flächigen Farbauftrags zu tun. Für Merkel ist die Zweidimensionalität der Leinwand ein unabdingbares, zu respektierendes Faktum, mit dem er spielt, wenn er ein monochromes Gelb schwarz umrahmt.