Klaus Merkel

Texte

Heinz Norbert Jocks: Klaus Merkel, Kunstverein der Rheinlande und Westfalen 9.4. - 15.5.1988

Düsseldorf, Kunstforum International 9.4.-15.5.1988, 1988

Geht man durch die Ausstellung des Kunstvereins, fällt die eigenwillige Präsentation durch ihren die Aura des einzelnen Bildes scheinbar ignorie­renden, unkulinarischen Umgang mit einer Kunst auf, die eine strenge Re­duzierung auf fast monochromen Farbgrund und einfache Formen wagt. Es sagt viel über die ästhetische Selbstbespiegelung von Klaus Merkel aus, wenn in der von ihm wirkungs­voll gestalteten, lichtdurchfluteten Halle die unter- und nebeneinander gehängten Bilder als gleichberechtig­te Fantasien abstrakter Wiederholun­gen erscheinen. In großem Respekt vor Farben, die er im Kontrast zu Linien setzt, und Assoziationsformen, die er vor dem Ordnungszwang instrumenteller Vernunft schützt, ist ihm eine das Auge provozierende Harmo­nie jenseits fundamentaler Zusam­menhänge Verpflichtung. Wenn Merkel von „begrifflosen Begriffen“ spricht, meint er eben dies: Das automatische Denken wird, wie es sich im Malakt vollzieht, zur konstituieren­den, dynamischen Komponente des Bildes, ohne dass es den Malakt selber begrifflich fixiert.

Was hier vielleicht deutlicher zu sehen ist als anderswo mag sich im Bereich zufälliger Intui­tionen finden, die scheinbar Zerrisse­nes zusammenhalten und über die Individuierung kollektiver Wahrneh­mungen zu einer Qualität gelangt, die mit Abbildlichkeit überhaupt nichts mehr zu tun hat. Auch Assoziationen mit Realem, die sich zwangsläufig einstellen, ohne dass sie sich konkreti­sieren ließen, vermögen dieses Urteil nicht zu korrigieren. Die Begegnung mit dem, was in Städten wie Wien, wo Klaus Merkel von 1980 bis 1981 dank eines DAAD Stipendiums sich auf­hielt, auf ihn einwirkte, hielt er sowohl als bemalte Bücher als auch in einer Unmenge unliterarischer Notizen fest. Ein Indiz dafür, dass es sich hier trotz aller Distanz zu unmittelbar Wahrnehmbaren um eine Verarbeitung durchlebter Wirklichkeit handelt. Malend die Realität imitieren zu wollen, lehnt er als Versuch, das von Zeichen überflutete Reale zu verdop­peln, ab. Er kommt erst gar nicht in Versuchung, der erkannten Unter­schiedlichkeit von Innen und Außen, von Realem und Symbolischen Rech­nung zu tragen. Es ist für Merkel typisch, dass er auf abstrakte Formulie­rungen zurückgreift, sich ihrer erin­nert, um die Nuance einer Form zu verändern, die Wege sich überschneidender Linien zu korrigieren, den Kontrast von Farbe und Zeichen zu variieren. Die Wiederholung zeichne­rischer Gesten bleibt ebenso eine kon­stante Komponente des Merkeischen Werkes wie der ewige Versuch, die unüberschaubare Komplexität einer mit Symbolen überladenen Welt mit einer reduzierten Anzahl modifizier­ter Zeichen zu kontrastieren. Wenn Merkel die Autonomie einer Linie von fein nuancierten Farbflächen absetzt, assistiert stets eine auf nichts zurück­führbare Wahrnehmungsweise.

Es ist einfach, festzustellen, dass Merkel nach Klarheit strebt, dass seine Ent­wicklung zu immer stärkerer Verein­fachung und subtiler Klärung führt, intellektuell wie malerisch.

Beim Be­trachten der Bilder ahnt man, wie sehr seine künstlerische Wahrnehmung se­lektiert, in der Absicht, die gespei­cherten Form-und Symbolfragmente, die er dem permanenten Strom urbaner Zeichen entreißt, zu verinnerlichen, dadurch zu vereinzeln.

Diese Atomisierung figurativer Chif­fren lebt vom bewussten Puritanismus, von der versierten Säuberung und der systematischen Beschränkung. Auf­fallend der ökonomische Umgang mit Farbwerten. Seine Palette beschränkt sich auf ein Gift- und Gelbgrün, auf Schwarz und Weiss, auf Rot und Blau. Die rein und gemischt auftretenden Farbwerte treten miteinander in knall­harte Korrespondenzen, signalisieren Harmonien und Dissonanzen, beset­zen pompös die Szene des von zwei Farben beherrschten Bildgevierts. Der Betrachter wird Zeuge eines Kräfte­spiels zwischen zwei gleich starken Farbsubstanzen, wobei nicht selten die eine als Schimmer in der anderen präsent ist. Alles in allem werden Grundfiguren variiert, zartfarbene, in Rosa, Blau, Grün gehaltene Komposi­tionen mit kaum beschreibbaren Kon­struktionen vertikal und horizontal verlaufender Linien, mit fast ovalen Formen, kombiniert mit einer angren­zenden Linie. Wo Merkel eher monochrome Rot-, Blau- und Grüntöne einer sich bescheidenen Palette bevor­zugt, dort bauen sich kontrastierte Form- und Zeicheninseln in abgedun­kelten Farben auf, lose Zeichen, in Be­ziehung zueinander gesetzt, schwarze, kettenbildende Ringe, zarte Gitterfor­men, die ein schwarzes Rechteck um­zäunen, Linien, die sich zu Figurationen zusammenschließen, schlanke, meistens fast isoliert schwebende Figurationen, die in ihrer Anlage und Wirkung an nichts erinnern. Manch­mal füllen fleckenhafte Gebilde, die sehr signethaft wirken, lediglich eine insulare Mitte, der Rest der Fläche bleibt leer. Man hat den Eindruck, diese Zellform braucht den sie umgebenden Freiraum zum Atmen; sie setzt sich ab, also ist sie. Selbst diese künstlerische Freiheit ist nicht ohne innere Ordnung und ist nicht austauschbar. Nur dem, der bereit ist, genau zu schauen und sich einzulassen auf dieses vor allem kunstimmanenten Fragen gewidmete Werk, erschließen sich die Bilder. Die Bildwirklichkeit begreift Merkel als für sich existent; er ist befruchtet und durchdrungen von der Auseinandersetzung mit den beiseite geschobenen Zwischenräu­men der von Alltagsblicken durch­siebten Städte, von Erinnerungsfet­zen, die sich in den Bildern in Form konkreter Zeichen niederschlagen. Als Maler verzichtet Merkel auf die Mehrdeutigkeit zu enträtselnder Symbole. Seine Zeichen aus Farbe und Form existieren für sich, weit ent­fernt, als etwas zu erscheinen, das jen­seits ihrer puren Faktizität liegt. 

Wenn der 1953 in Heidelberg geborene, heute in Freiburg lebende Künstler, der von 1975 bis 1980 an der staatli­chen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe bei Peter Dreher studierte, die unendlichen Symbolfelder des Realen durchstöbert, dann nur, um ihnen ein losgelöstes „Vokabular von strukturellen Zeichnungen“ (Markus Brüderlin) abzugewinnen. Geht man die Reihe seiner ausgewählten Arbei­ten durch, fällt auf, dass er die grosse Wand des Hauptraumes mit einer Vielzahl von Bildern unterschiedli­cher Formate sehr genau szenisch füllt, gleichzeitig aber eine selektie­rende Hierarchisierung divergieren­der Motive aufzuheben bestrebt ist. Eine das einzelne Bild betonende Balance stellt sich ein, die den Be­trachter zwingt, auf das vereinende Zusammenspiel zu achten. 

Wie andere Künstler vor ihm, spürt Merkel ganz instinktiv, dass im scheinbar Fragmentarischen mehr Leben und Spannung liegen kann als in der vor­dergründigen Vollendung. Dass man jedoch trotzdem nicht in den Sog spontaner Faszination, in den Bann­kreis dieser eigenwilligen Kalligra­phie gerät, hat mit der asketischen Strenge des flächigen Farbauftrags zu tun. Für Merkel ist die Zweidimensionalität der Leinwand ein unabdingba­res, zu respektierendes Faktum, mit dem er spielt, wenn er ein monochro­mes Gelb schwarz umrahmt.