Die Bewertung der Kunst - Werke von Jack Goldstein, Ketty La Rocca, Josef Kramhöller und Klaus Merkel aus der Sammlung Kienzle
Die Malerei bestimmt die Praxis von Klaus Merkel (*1953 in Heidelberg), nicht der Bezug auf mediale Bilder. Aber auch er steht im Wandel des Repräsentationsbegriffs, da die Zeichen der Malerei keine Bedeutung mehr tragen, weder für eine Welt außerhalb, noch für eine bildimmanente Konstruktion, noch für einen mythischen Ursprung im Künstler. Zudem sind sie frei von Expression und Affekt. Als Zeichen sind sie gleichwertig und bedeutungslos. Im Modernismus markierten sie noch malerische Probleme. Das ist vorbei, es sind Zeichen, kein Problem und keine Lösung darstellend, nur noch Effekte (einfache Verhältnisse), die sich der Künstler aneignet.
Der einfache gemalte Effekt wird Bild - und monumentalisiert es auf eine nicht geheure Art, da klassische Gemälde von unzähligen Effekten, oder Verhältnissen konstruiert waren (87.12.12 Tiere, 1987, Öl auf Leinwand). Zwei solche einfachen Effekte auf einem Gemälde drängen auseinander, als wären es zwei Bilder (88.06.01, 1988, Öl auf Leinwand). Bilder in einer Ausstellung zusammengehängt, werden zu einem neuen Gesamtbild. Merkel malt bisherige Bilder noch einmal in einer Verkleinerung von 1:10 und nebeneinander aufgelistet auf einem Bild. Die systematische Selbstaneignung und Differenzierung führt so weit, dass es möglich wird, ungemalte Bilder zu malen, als wären sie vom System vorgesehen und nur nicht realisiert worden (98.09.01 Ungemalte Bilder (mit Rand) EXTRAS Luhmann, 1998, Öl auf Leinwand). Aber sind sie nun gemalt oder nicht?
Eine Reihe von Operationen wird möglich: Die freigewordenen einfachen Effekte werden bildhaft und in eine systematische Ordnung gebracht. Die systematische Ordnung drängt auf höherer Ebene zu neuen Anordnungen, die das Bild in Zeit und Raum virtualisieren. Das ermöglicht eine Ordnung, die von vielen Beobachtern als systemtheoretisch beschrieben wurde. Aber die Loslösung der alten Identifikation von Gemaltem, vom Bild und vom Träger macht auch rückwirkend die alten identifizierenden Kräfte sichtbar - denn es bestand offensichtlich nie eine natürliche Notwendigkeit diese Ordnungen zu koppeln. Die Kopplung war konventionell: das Gemalte, das Bild und der Träger - man hatte sie immer miteinander identifiziert in der Institution „Malerei“ - und mit ihrer Identifikation einen bestimmten Gebrauch der Bilder verknüpft. Einen praktischen Gebrauch: ihre Ausstellung, ihre Abbildung in Katalogen, ihren Handel. Einen symbolischen Gebrauch in der Formierung des kontemplierenden Subjekts und des Publikums, das eine Öffentlichkeit bildet, sowie im Konsens über eine gemeinsame Realität. Eine bestimmte Art, Subjekte bürgerlicher Öffentlichkeit und Objekte bürgerlicher Märkte herzustellen. Indem nun neue Kopplungen entstehen, reicht das vom Träger gelöste Bild in den Raum seiner Ausstellung und ihrer Funktionen hinein - zu einem historischen Zeitpunkt, da das Publikum dieser Öffentlichkeit und der freie Wettbewerb dieser Märkte nur noch bedingt und wahrscheinlich immer weniger gegeben ist. Stattdessen erfasst die Virtualisierung und Digitalisierung, die Merkel in seinem Werk erprobt, defragmentierend die Institutionen der Kunst und der Gesellschaft und verwandelt sie.
Während die isolierten malerischen Effekte als freigeworden aus der alten Repräsentationsfunktion des Gemalten beschrieben werden können, handelt es sich bei der gesellschaftlichen Konvention der Benutzung des Bildes um seine Repräsentanz. Alles was bildwürdig wird, ist aufgewertet - automatisch. Es gibt kein Bild ohne Wertung. Es braucht chirurgische Präzision, um das Gemalte so weit von jedem Sinn und Affekt zu befreien, dass sein Wert als Bild gegenstands- und referenzlos wird. Wenn die Tendenz des Bildes zu bedeuten, zu verweisen und zu verherrlichen neutralisiert wurden, wenn es leere Formel ist, dann treten die abstrakten Mechanismen der Bewertung seiner umgebenden symbolischen Ordnungen sichtbar zu Tage, und statt etwas konkret Inhaltliches zu be- oder zu entwerten, (zum Beispiel die Malerei innerhalb der Kunst oder eine bestimmte Malerei in der Malerei) wird Bewertung abstrakt.
Der Wert wird von jeder konkreten Referenz befreit. Wert als stille Potenz, referenzlos, ungebunden, ungedeckt, aber vorhanden als Systematik von Wertkategorien vor jeder Bewertung - als Ökonomie. Als Programmcode der Bewertung. Die völlige Sinnlosigkeit der Merkelschen Bildfolgen (die genau genommen nicht abstrakt sind, sondern theoretisch, während abstrakt das sichtbar gemachte reale Bewertungsprogramm ist) ist die Voraussetzung für die Darstellung einer Systematik der konventionellen Bewertungskategorien der Kunst: Gemaltes, Bild, Betrachter, Träger, Ausstellung, Publikum, Katalog, Markt & Gesellschaft (samt imaginären und identitären Zuschreibungen, die nur darauf warten irgendwo aufzusitzen). Merkel reiht sie auf und schiebt sie ineinander, mit der Ernsthaftigkeit, die man einem so sinnlosen wie unumgänglichen Witz widmet (eine Verwandtschaft mit Dieter Roth). Merkel bewertet nicht, er schreibt es auf - indem er sich allen Wertungen enthält, gelingt es ihm, dieses unvergleichliche Oeuvre als Aufschreibesystem eines Bewertungssystems in Abstraktion zu entwickeln.